"Wohin gehst du?"
"Ich will mir einen amerikanischen Klappspaten besorgen", sagte
Kriminalkommissar Jonas Mørck, stellte seine Hausschuhe in die
Diele und zog sich die Schuhe an. Seine Frau sah ihm durch die Küchentür
zu. Sie stand am Ausguß und schälte Kartoffeln.
"Was willst du besorgen?" fragte sie.
"Einen Klappspaten."
"Einen was? Soll das ein Spaten sein, den man zusammenklappen kann?"
"Ja. Ich habe den Spaten in einer Anzeige des American Store gesehen.
So ein Klappspaten ist nämlich genau das, was ich brauche. Nur fünfzehn
Kronen. Das ist gerade noch zu verkraften."
"Wofür braucht man ihn?"
"Um Schützenlöcher auszuheben, nehme ich an. Aber ich
will damit nach Würmern buddeln. Ein sehr praktisches Gerät
- besser als wenn man eine Schaufel mit an den Strand schleppt."
"Ich verstehe nicht, daß du das kannst", sagte sie und
dachte an das Aufspießen der Würmer auf den Haken.
"Ich könnte mich nicht einmal überwinden, die Biester auch
nur anzurühren."
"Was hast du denn gegen sie?"
"Ach, nun hör schon auf", sagte sie. Wenn sie in ihrem
Häuschen an der Nordsee Ferien machten - und sie wollten am folgenden
Tag dorthin fahren -, nahm er immer gern die Gelegenheit wahr, sich
in bescheidenem Umfang als Angler zu betätigen. Er ging dann immer
bei Ebbe hinaus, spannte eine Schnur zwischen zwei Stöcken und
befestigte daran eine Anzahl Haken, an denen die Sandwürmer aufgespießt
waren, die er vorher ausgegraben hatte. Manchmal fing er ein oder zwei
Flundern. Seine Frau war nur ein einziges Mal dabeigewesen, als er seinen
Fang von den Haken abnahm. Sie war aber schnell fortgegangen, wobei
sie ihren Abscheu deutlich gezeigt hatte. Das hatte sie allerdings nicht
daran gehindert, die Fische mit gutem Appetit zu verspeisen.
"Ich bin von Kindheit an daran gewöhnt", sagte Mørck.
"Das ist auch das einzige, was du zu deiner Entschuldigung anführen
kannst", erwiderte sie und trat an die Küchentür. Dort
blieb sie stehen und sah zu, wie er seine Schuhe schnürte.
"Wir essen doch sicher noch nicht gleich?" fragte er. "Es
dauert bestimmt nicht länger als eine halbe Stunde."
"Ich kenne deine halben Stunden", sagte sie. "Wir essen
um halb sieben."
"Was gibt's denn?"
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GRÜNKOHL MIT PINKEL |
(für 6 Personen)
Grünkohl schmeckt am besten, wenn er Frost bekommen
hat. Erhältlich ist er in den Monaten November bis
März.
2 kg Grünkohl
2 Zwiebeln
60 gr Schweineschmalz
2 EL Haferflocken
500 gr frischer durchwachsener Schweinebauch
500 gr Kasseler
1 Kochmettwurst
1 Grosse Pinkelwurst
Salz und Pfeffer
Den Grünkohl von den Blattrippen lösen und
gründlich waschen. Kurz in kochendes Wasser geben.
Auf einem Sieb gut abtropfen lassen und grob hacken. Die
Zwiebeln in Würfel schneiden. Das Schmalz in einem
großen Schmortopf erhitzen und die Zwiebeln darin
glasig dünsten. Den Kohl hinzufügen, unter Rühren
zusammenfallen lassen und mit den Haferflocken vermischen.
Mit einem halben Liter kochendem Wasser aufgießen.
Den Schweinebauch auf das Gemüse legen und zugedeckt
zwei Stunden bei mittlerer Hitze kochen lassen. Bei Bedarf
Flüssigkeit zugeben. Nach einer Stunde das Kasseler
und die Kochmettwurst zufügen. Nach einer weiteren
halben Stunde die Pinkelwurst auf das Gemüse legen.
Zum Schluß mit frisch gemahlenem Pfeffer und eventuell
mit Salz abschmecken.
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"Grünkohl und karamelisierte Kartoffeln, trotz allem, was
sie in der Zeitung schreiben."
"Wer schreibt etwas?"
"Na, diese Gourmands, oder wie sie sich nennen."
"Du meinst Gourmets?"
"Ja, die schreiben einen Unsinn zusammen. Ich hab es in der Zeitung
gelesen, kurz nachdem ich mir ein Pfund von diesen kleinen Pellkartoffeln
gekauft hatte. In Zucker gebackene Kartoffeln, das war nach Meinung eines
dieses Feinschmeckers etwas Abscheuliches, eine kulinarische Barbarei.
Nun gut, dann sind wir eben Barbaren!"
"Das wird wohl so sein", sagte Mørck und zog seine
Windjacke an. "Der Mann ist vermutlich ein Sachverständiger
und müßte es also wissen."
"Ich weiß wirklich nicht, was die sich einbilden. Sie können
den Leuten doch nicht vorschreiben, was ihnen schmeckt. Es ist ja sogar
dein Lieblingsgericht. Leider habe ich die geräucherten Würstchen
nicht bekommen, die du so gerne dazu magst. Der Metzger meinte, ich sollte
doch geräucherten Schweinekamm nehmen, aber das war mir zu teuer,
und so habe ich schließlich ein Pfund Gehacktes für Frikadellen
gekauft…Aber was ist los? Du hörst ja gar nicht zu, Jonas!"
Ein Gespräch zwischen Eheleuten. Eine schlichte Sicht auf die Dinge.
Biedersinn schimmert durch. Wir sind in Dänemark und hören
von einem Gericht, das hierzulande, im Norden der Republik, gern in
größerer Gesellschaft eingenommen wird. Mit Bier und anschließend
mindestens einem Klaren.
"Du hörst ja gar nicht zu", wirft Marie ihrem Mann in der
zitierten Romanpassage vor, und in der Tat - so ist es. Kommissar Jonas
Mørck aus Kopenhagen wirkt immer etwas zerstreut, redet oft konfus
daher, und seine Fälle löst er entsprechend umständlich
und meist im Alleingang. Ein Eigenbrötler also, siebenundvierzig
Jahre alt - man mag es kaum glauben angesichts der ihm zugeschriebenen
Macken, die eher auf einen mit Seniorenpaß verweisen. Seinem jüngeren,
energischen Kollegen Knut Ejnarsen geht das senile Gehabe natürlich
wahnsinnig auf den Geist.
"Worüber zum Teufel grinst du eigentlich die ganze Zeit?"
blafft er ihn an.
"Ich? Über nichts."
Eine typische Antwort, und Ejnarsen nickt grimmig. Er sieht nämlich
auch beim besten Willen keine Veranlassung zur Freude. Die beiden Kommissare
haben einen neuen Fall. Eine junge Frau ist erwürgt und übel
zugerichtet worden, und die Beamten sind auf dem Weg zum Tatort. Es ist
ein langer Weg, der sie von der Hauptstadt in die tiefste Provinz führt.
Sie fahren durch eine hohe Tannenschonung einen Hügel hinauf. Vor
ihnen liegt weit und flach das Land - Westjütland: "Wo die Nordseewellen
trecken an den Strand…"
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KARAMELKARTOFFELN |
600 gr kleine Pellkartoffeln
2 EL Zucker
2 EL Pflanzenöl
Das Öl in der Pfanne erhitzen, den Zucker hineinstreuen
und bräunen. Die gepellten Kartoffeln hinzufügen
und braten, bis sie goldbraun sind.
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Karge, von Tannenhecken geschützte Felder wechseln mit Kiefernschonungen
ab und verlieren sich zwischen Himmel und Meer am weißen Horizont.
Mørck atmet befreit auf. Ihm gefällt die Landschaft. Ejnarsen
dagegen stöhnt verzweifelt.
"Großer Gott", meint er. "Ich verstehe nicht, wie
jemand auf die blödsinnige Idee verfallen konnte, diese unterentwickelte
Gegend dem Königreich Dänemark einzuverleiben."
Er ist mit Leib und Seele ein Stadtmensch und wird uns als hellblonder,
athletischer Typ vorgestellt, der bis vor kurzem das absolute As im
Ringverein der Polizei gewesen ist. Jetzt aber sind seine Muskeln von
einer Fettschicht überlagert und die blauen Augen blutunterlaufen:
Zuviel Fernsehen gehabt, zuviel dabei getrunken. Er ist gereizt, weil
seine Frau nun mit ihrer Freundin auf Mallorca Urlaub machen wird. Er
hat sie ständig im Verdacht, ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit
zu betrügen. Später erwischt er auch einmal einen ihrer Männer.
"Ich bin ihm auf der Treppe begegnet", erzählt er. "Und
obwohl wir im zweiten Stock waren, wußte ich sofort, daß
er aus dem dritten gekommen war. Dort brannte das einzige Licht im Haus.
Cilie flitzte in Unterwäsche herum und räumte auf, nachdem
sie ihre Leckerbissen spätabends zu sich genommen hatten - sie
würde nie im Traum daran denken, mir zu dieser nächtlichen
Stunde oder irgendeiner anderen Tageszeit appetitliche Brotschnittchen
mit Schinken und Pfefferkäse darauf zu machen." -
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DANSK SMØRREBRØDS |
Weiß-, Grau- oder
Schwarzbrotscheiben mit Butter bestrichen und jeweils
belegt mit Garnelen, Hummerfleisch, Kaviar, Räucherlachs,
Sardellen, Dorschrogen, Räucheraal, Räucherhering,
Bismarckhering, Gänsebrust, Gänseleber, gekochter
Rinderbrust mit Meerrettich oder Remoulade, rohem und
gekochtem Schinken, Tatar mit Ei, Käse.
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Dansk Smørrebrøds, die Ejnarsen nur zu gerne ißt.
Mørck und Ejnarsen haben inzwischen ihr Ziel erreicht: Vestersø,
ein Zweitausend-Seelen-Kaff, liegt vor Meerwinden geschützt in
einer Bucht gleichen Namens. Unmittelbar nördlich des Ortes beginnt
die Dünenlandschaft. Zum breiten, weißen Badestrand sind
es zwei Kilometer. Südlich der Stadt sind Marschwiesen und das
Wattenmeer. Vestersø ist ein altes Seemanns- und Fischerdorf
mit reetgedeckten Häusern im friesischen Stil. Es gibt ein Badehotel
und ein Wirtshaus mit elf Zimmern. Dort, im Dorfkrog, richten sich die
beiden Beamten ein: In der in braunen Farbtönen gehaltenen Gaststube
herrschte trotz des hellen Sonnenlichtes, das, vom graublauen Licht
der Meeresbucht reflektiert, durch die Fenster fiel, eine angenehm gedämpfte,
gemütliche Atmosphäre. Rauchgeschwärzte Balken unter
der Decke und dazwischenliegende einst weiße, nunmehr schwach
tabakgelbe Flächen trugen zur Verstärkung dieses Eindrucks
bei. Die Wände waren mit dunkelgebeiztem Kiefernholz getäfelt.
Auf den Tischen lagen flaschengrüne Tischtücher. Es war halb
fünf, und die Gaststube war leer. Die junge Kellnerin saß
hinter der Theke und strickte. Sie hatte ein blasses, etwas rundliches
Gesicht, und ihr helles Haar hob sich von den dunklen Flaschen und glänzenden
Gläsern ab, die hinter ihr auf den Regalen standen. Sie legte ihr
Strickzeug beiseite, nachdem sie an einem der drei Fenstertische Platz
genommen hatten.
"Was darf es sein?" Sie sprach keinen Dialekt, aber der Akzent
war unverkennbar. Wenn Frauen in Westjütland miteinander sprechen,
schwingt oft ein klagender Ton mit, dachte Mørck. Ejnarsen dachte
an Smørrebrød und bestellte sich zwei Stück.
"Was gibt es als warme Mahlzeit?"
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RIPPCHEN MIT ROTKOHL |
Gepökeltes und geräuchertes
Schweinsrippenstück (Kasseler Rippenspeer) mit etwas
Fett in der Pfanne braten. Gehackte Zwiebel- und Apfelscheiben
in Gänseschmalz anschwitzen, den feinstreifig geschnittenen
Rotkohl und etwas Fleischbrühe zugeben, mit Salz,
Piment und Wacholderbeeren würzen und zugedeckt langsam
dünsten. Zuletzt mit etwas Zucker abschmecken.
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"Gebratene Rippchen mit Rotkohl. Aber erst nach sechs."
Ein kräftiges Essen in einem idyllisch gelegenen Dorfkrog. So ist
das durchgehend bei den beiden Kommissaren. Immer wieder verschlägt
es sie von Kopenhagen aus aufs Land - nach Jütland, Fünen
und anderswohin: Sie hielten an der Ecke Damegade und Gråbrødregade
an, wo sich die Kneipe "Zum fidelen Mönch" im Kellergeschoß
befand. Die Lichter brannten, obwohl draußen noch heller Tag war,
und durch die rauchvergilbten Vorhänge konnten sie die Tische mit
den karierten Decken erkennen. Jonas Mørck und Knut Ejnarsen
treten ein und nehmen Platz. Und schon ist erst einmal das Mittagessen
angesagt. Eine Klappe öffnet sich in der dunkelgetäfelten
Wand hinter der Bar, wo die Flaschen auf Regalen geordnet waren. Ein
Tablett wurde durchgeschoben, und aus der Küche tauchte der Wirt
auf, ein Geschirrtuch oben in die Hose gesteckt.
"Bereiten Sie das Haschee selbst zu?" fragte Mørck.
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KARTOFFELPÜREE |
Geschälte Kartoffeln
in Salzwasser kochen, abgießen, pürieren. Mit
etwas Butter im Topf trockenrühren, mit Salz, Pfeffer
und Muskatnuß würzen und heiße Milch
darunterziehen, bis das Püree sahnig und locker ist.
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"Ja. Landratten bringen nie ein anständiges Haschee zustande.
Das können nur Seeleute."
Am nächsten Abend sitzt Mørck dann um etwa halb neun im Café
"Drei Kronen" bei einem Bier und schaut hinaus auf den verlassenen
Rådhusplads. Ein leichter Sprühregen fällt, und die Fenster
des Cafés glitzern vom Wasser, das an ihnen heruntertropft. Er
fühlt sich träge und faul: Ein Gefühl der Leere hatte ihn
überwältigt… Für ihn und Ejnarsen gab es hier nichts
mehr zu tun. Der Fall würde abgeschlossen werden mit der Untersuchung
der Leiche...
Ihm fiel ein, daß er die Fotos nicht zurückgegeben hatte.
Eines Tages wirst du gehen und dich selbst vergessen, sagte seine Frau
in irgendeinem fernen Winkel seines Bewusstseins.
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LABSKAUS |
500 g Pökelrinderbrust
mit Zwiebeln und etwas Lorbeer in Wasser ganz weich kochen,
herausnehmen und kleinschneiden. In dem Brühfett
500 gr Zwiebeln helldünsten, in Brühe weichkochen.
1 kg Kartoffeln stampfen. Fleisch, Zwiebeln und Kartoffeln
vermischen und mit der Brühe breiigrühren. Geraspelte
rote Beete beifügen, mit Pfeffer und etwas Senf abschmecken.
Mit einer Salzgurke und Spiegelei anrichten.
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Ebenso hatte er vergessen, sie anzurufen, um zu sagen, daß er
morgen früh nach Lolland fahren würde, um einen neuen Mord
zu untersuchen.
Drei Fälle lösen Jonas Mørck und Knut Ejnarsen zusammen.
Unter den Titeln
"Einer soll
geopfert werden",
"Was
ist Wahrheit" und
"Stumme
Zeugen" sind sie erschienen - Kriminalromane von
Poul
Ørum. Es sind ruhig erzählte und unspektakuläre
Geschichten. Sie enthalten viel Atmosphäre, machen Lust auf das
Land, auf entspannte Abende in einer behaglichen Unterkunft - in einem
Dorfkrog. Genau die richtige Urlaubslektüre für verregnete
Tage.
© Frank Göhre
Januar 2007 - Literaturportal schwedenkrimi.de - Krimikultur Skandinavien
Die Geschichte erschien zuerst in "Frühstück mit Marlowe"
- Rezepte und Geschichten im Wunderlich Verlag, Reinbek 1991 - Überarbeitete
und erweiterte Ausgabe Rowohlt Taschenbuchverlag, Reinbek 1997